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Tannen, das Weltgute und die Hure des Systems

Tannen, das Weltgute und die Hure des Systems

Tobias findet telefonieren schöner als Email und leitet eigentlich nichts weiter. Für mein Crowdfunding macht er eine Ausnahme. Und ruft mich dann an, um mir den Donnerstag zu retten.

Tobias findet telefonieren schöner als Email und leitet eigentlich nix weiter. Für mein Crowdfunding macht er eine Ausnahme. Und dann ruft an, um mir den Donnerstag zu retten.

Wir reden über die Verlage, die er relevant findet. Ich erblühe innerlich, weil ich Freunde habe, die wissen, welche Verlage sie relevant finden.

Im Augenblick eigentlich nur Matthes & Seitz. Wegen den Naturkunde-Bänden. Wir reden über Portäts von Tannen und warum Matthes & Seitz heute das ist, was früher mal Suhrkamp war. Also das Weltgute.

Wir reden über Erwartungen. Die Erwartung, dass gute Ideen sich online geil präsentieren und viral gehen müssen. Es gibt zwei Wege, wie Ideen entstehen.

So von ganz tief innen heraus und dann sind sie da und gucken schräg in die Welt.

Oder auf die Welt zu, zielgenau rein in die Bedürfnisse und Gedanken, die dort rumfliegen.

Am Ende ist es immer beides, aber wo liegt der Fokus? Beim Schaffen oder beim Ankommen? Bin ich Künstler oder Performer? Hab ich Pimpf überhaupt ein Recht, so hochtrabendes Zeug zu denken? Immerhin hab ich Verantwortung. Vor Menschen, die von mir abhängen. Und vor Menschen, denen ich was versprochen habe, denen ich was schulde, weil sie früher schon mein erst hochtrabendes und dann eher so tieffliegendes Schaffen unterstützt haben.

Ich hab etliche Ideen, auf denen ich mit geschäftsschädigender Sturheit beharre. Brettspielpostkarten. Also mal ehrlich … Und ich hab wenig Crowd. Von daher könnte ich Künstler sein. Immerhin bin ich bei der KSK.

Aber ohne Performance und ohne Crowd gehen Indy-Projekte nicht. Es gibt diese Strukturen und diese Erwartungen. Ohne geht es nicht. Aber mit meiner Künstlerseele unterlauf ich die, übergeh sie und latsch gern meilenweit dran vorbei. Blöderweise lauf ich dabei zwar sehr weit, mit entsprechender Anstrengung. Ich komm aber zumindest wirtschaftlich nirgendwo an. Zumindest nicht dort, wo ich mit meiner Hände Arbeit eine Miete bezahlen und einen Kühlschrank füllen kann. Und die Schulden zurückzahlen, die durch mein Vertrauen in frühere Herzensprojekte und den tollkühnen Mut zum unternehmerischen Risiko entstanden sind.

Denn auch sowas passiert, wenn man es „einfach macht“. Schreibt euch das hinter die Ohren, bevor ihr drüber nachdenkt, eure Festanstellung gegen die Freiheit, das Gute, Wahre und Schöne zu tauschen. Das Prinzip „einfach machen“ ist nur auf der einen Seite der goldene Weg zu Ruhm, Herrlichkeit und einem Einkommen, dass es dir erlaubt, Kultur zu fördern und Verlage zu unterstützen, die Bücher mit Porträts über Tannen machen. Es ist auch ein Weg, der Konsequenzen hat. Und nicht immer nur solche, wie es beim NLP-Seminar auf Folie 3 beschrieben ist.

Und jetzt?

Ich suche die Crowd. Ich performe. Ich komme in Kontakt mit Leuten. Darum ruft mich Tobias an, der sonst nie Emails weiterleitet, den ich furchtbar gern hab und mit dem ich trotzdem viel zu selten rede.

Er fragt mich, ob „Herr meiner Selbst“ in Übersetzung auch immer ein bisschen „Hure des Systems“ bedeutet.

Das finde ich wahnsinnig spannend. Leider brennt mein Kopf von den vielen Akquise-Mails mit der Bitte, die Info zum Crowdfunding weiterzuleiten. Darüber denk ich vielleicht später nach.

Jetzt muss ich erstmal zum Termin für das Testimonial-Shooting beim Italiener mit der Moorenstatue im Foyer. Für den Zweitjob als Vertriebsmensch bei der Kaffeefirma. Bei dem ich mich ok fühle, aber nicht immer zu 100%.

Ich gestatte mir dort nicht, alle Fragen zu Ende zu denken. Fragen, die in meinem eigenen Projekt von vornherein klar und eindeutig sind. Gehen mich auch nichts an. Weil sie nicht mir gehören. Und weil ich davon abhängig bin, dass es klappt und dass es weiter geht. So ist das nun mal. So läuft die Wirtschaft. Nur so wird der Kühlschrank voll. Und während ich das aufschreibe, schau ich dreimal, ob jemand für das Crowdfunding gespendet hat. Und überleg auch kurz, wo ich nun eigentlich mehr dem System seine Hure bin.

Zwischendurch Freude.

Es sind zwei neue Namen auf der Liste, die weder mich noch meine Freunde kennen. Die waren einfach überzeugt von dem Projekt und haben es unterstützt.

Gibt es doch Hoffnung im Jahr 2020? Ich will endlich ein Teil vom Weltguten werden. Matthes und Seitz haben es doch auch geschafft. Und wenn es nichts wird, frag ich die, ob sie einen sensiblen, aber belastbaren Vertriebsmitarbeiter brauchen.

Und dann investier ich mein Gehalt in Brettspielpostkarten und Bücher mit Porträts über Tannen. Und feiere Leute, die es wagen, den beinharten Weg des Künstlers zu gehen, während ich vielleicht ihre Crowdfunding-Aktionen auf Facebook.

Vielleicht ruf ich auch hin und wieder jemand an und wir erinnern uns dran, wie das war, in diesem Herbst, als die ganze Welt am Rad gedreht hat.

Wie ich mich kenne hab ich aber auch dann schon wieder ein Projekt im Kopf, das potentiell nur mich allein interessiert.

Bleibt die Erkenntnis: Als Hure des Systems bin ich relativ schwer zu gebrauchen. Hab ich jetzt doch irgendwas richtig gemacht?

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26. November 2020

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